
14 Mai WIENER AKTIONISMUS: WEGE ZUR AKTION
BRUS / HIRT / MUEHL / NITSCH / SCHILLING / SCHLÖGELHOFER / SCHWARZKOGLER / STANKE-UHLIG
Wege zur Aktion – der Wiener Aktionismus und die Sammlung Friedrichshof
27.05.2021 – 30.10.2022
Sammlung Friedrichshof Zurndorf
Im Rahmen der Initiative offen des Landes Burgenland finden am Sonntag, 22. Mai 2022 von 10 – 18 Uhr Führungen mit den Kuratoren der Ausstellung Marcello Farabegoli und Antonio Rosa de Pauli statt.
Ausstellungen in der Sammlung Friedrichshof haben unter der Leitung von Dr. Hubert Klocker Tendenzen der internationalen zeitgenössischen Kunst mit Werken aus der Sammlung verbunden und ermöglichten so neue Blickwinkel und Vernetzungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die für dieses Jahr geplante Ausstellung konnte aufgrund der situationsbedingten Restriktionen nicht stattfinden. Als WIENER AKTIONISMUS – WEGE ZUR AKTION werden deshalb ausschließlich Werke der Künstler*innen des Wiener Aktionismus aus den Beständen der Sammlung Friedrichshof und des Archives Otto Muehl gezeigt.
In dieser Ausstellung wird insbesondere anhand der umfangreichen Bestände der Sammlung Friedrichshof ersichtlich, wie die österreichische künstlerische Avantgarde den Weg vom Informel in die Aktion fand – ein Weg der aus mehreren Perspektiven heraus betrachtet werden kann. Die Sammlung Friedrichshof präsentiert erstmalig neben den bekannten Akteuren des Wiener Aktionismus, Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler, auch Werke anderer Künstler*innen aus jener Zeit, wie Monika Stanke-Uhlig, Micha Hirt und Karl Heinz Schlögelhofer. Die Räume sind bis auf einige Ausnahmen dabei nach Techniken bzw. Materialien gegliedert und führen die/den Betrachter*in durch die Anfänge und die darauffolgenden verschiedenen künstlerischen Praxen des Wiener Aktionismus. Anhand der Veranschaulichung der verschiedenen Techniken und Materialien kann unter anderen eine künstlerische Entwicklung hin zur Aktion skizziert werden. Die räumliche Gegenüberstellung verdeutlicht dabei die unterschiedlichen Positionen der Künstler*innen, lässt die Vielschichtigkeit der künstlerischen Produktion des Wiener Aktionismus erkennen und eröffnet auf diese Weise aufregende Blickwinkel hinsichtlich dieser für Österreich bedeutenden Kunstrichtung.
DER WIENER AKTIONSMUS
Der Wiener Aktionismus von Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler war Österreichs bedeutendster Beitrag zu den internationalen Postavantgarden der 1960er Jahre. Als Reaktion auf die Herausforderung des Abstrakten Expressionismus wurde die Malerei und Skulptur von den Aktionisten zum ereignishaften Kunstwerk erweitert und die gesellschaftliche Rolle und Funktion von Kunst und Künstler einer radikalen Analyse unterzogen. Künstlerinnen spielten auch eine Rolle für den Wiener Aktionismus wie etwa Anna Brus, Micha Hirt, Hanel Koeck, Erika Stocker und Monika Stanke-Uhlig. Die aktuelle Ausstellung zeigt Werke von Micha Hirt und Monika Stanke-Uhlig. Während bei den Werken von Monika Stanke-Uhlig die Gegenüberstellung zwischen formalistischer Zeichnung und Informel erkannt werden kann, zeigt die Arbeit von Micha Hirt eine gewisse Nähe zu den frühen Aktions-Objekten von Otto Muehl auf.
Bereits 1960 lernten sich Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl, Rudolf Schwarzkogler und Alfons Schilling kennen. Während letzterer 1962 den Kreis der Wiener Aktionisten wieder verließ, um in Paris und New York Fuß zu fassen, mietete Muehl im selben Jahr den Perinetkeller in Wien als Atelier und Austragungsort zahlreicher Aktionen, an denen auch die anderen Aktionisten teilnahmen. Im Zuge einer Gegenveranstaltung zu den Wiener Festwochen, die Muehl mit seinen Freunden Hermann Nitsch und Adolf Frohner dort organisierte, entstand die gemeinsam verfasste Broschüre „Die Blutorgel“, die als erstes Manifest des Wiener Aktionismus gilt. Kurz darauf sollte in einem Hinterhof an der Kärntner Straße eine Ausstellung mit dem Titel „Die Blutorgel und ihr Kreis“ stattfinden, an der neben Günter Brus, Adolf Frohner, Otto Muehl und Hermann Nitsch, auch Erika Stocker und Micha Hirt teilnehmen sollten – die Ausstellung wurde aber nie realisiert.(1) 1963 führte Muehl gemeinsam mit Hermann Nitsch mit dem Fest des psychophysischen Naturalismus die erste öffentliche Veranstaltung des Wiener Aktionismus durch. Viele seiner folgenden etwa 100 Aktionen wurden vom Fotographen Ludwig Hoffenreich dokumentiert und sind die Basis für Experimentalfilme seines Freundes Kurt Kren. 1966 gründete Brus mit Muehl das Institut für direkte Kunst und im selben Jahr nahmen beide mit Nitsch, Kren und Weibel am Destruction in Art Symposium (DIAS) in London teil. 1967 initiierte Muehl zusammen mit Oswald Wiener unter dem Begriff ZOCK eine Plattform für öffentliche Aktionen.
Die zentrale Charakteristik des Wiener Aktionismus ist eine stark sinnlich wirkende Ästhetik, in welcher verschiedenste Materialien und vor allem der Körper als direktes, tabubrechendes und auch politisches Medium eingesetzt wurde. Mit diesem Angebot einer intensiven Erfahrungsdimension ist der idealistische Wunsch nach subjektiven aber auch kollektiven psychohygienischen Ergebnissen verbunden. In den 1960er Jahren stand demzufolge nicht mehr die Malerei im Zentrum, sondern das ereignishafte und dramatische Kunstwerk.
WEGE AUS DEM INFORMEL – DIE AKTION
Ereignishafte Kunst wie die Happenings und Aktionen der 1960er Jahre sowie ab den 1970er Jahren die Performance Art waren ein wichtiges Mittel um den vorherrschenden, auf die Malerei und Skulptur konzentrierten, Kunstbegriff zu brechen. Die Aktionen der in Wien lebenden Künstler gelten heute als bedeutender Beitrag zu dieser weltweit populären Entwicklung in der Nachkriegskunst. Der Körper wurde zum Brennpunkt des ereignishaften Kunstwerks. Auf ihm zeigten sich nicht nur gestalterische, sondern auch gesellschaftliche Praktiken und Traumata – er wurde zur Leinwand, zur Projektionsfläche für Kritik und Neugestaltung.
Nach dem Skandal um die Veranstaltung „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien im Jahre 1968 und dem Tod Schwarzkoglers 1969 trennten sich die Wege der Künstler. Brus und Nitsch gingen nach Berlin und München, um Freiheitsstrafen zu vermeiden und ungestört ihrer künstlerischen Arbeit nachzugehen. Muehl wiederum versuchte die Kunst in das Leben zu integrieren und gründete Anfang der 1970er Jahre in Wien und später auf dem Friedrichshof eine Kommune, die bald zum Anziehungspunkt für Menschen wurde, die neue Möglichkeiten alternativen Zusammenlebens erproben wollten.
Trotz ihrer grundsätzlich malereikritischen Dimension, wurde die Aktion in der jeweiligen individuellen Ausformung, sei es die schamanistische Körperanalyse bei Brus, die gruppenanalytische Selbstbefreiung Muehls, das umfassende Gesamtkunstwerk des Orgien-Mysterien-Theaters bei Nitsch oder das synästhetische Erfahrungslabor Schwarzkoglers, immer von einem umfangreichen bildnerischen, vor allem auch photographischen Werk gespiegelt. Diese Bildwelt des Wiener Aktionismus ist Entwurf, Ikone, Dokument, Annäherung, Indiz, Lesezeichen und setzt sich sowohl als Brennpunkt in den 1960er Jahren aber auch als repräsentativer Schatten der Aktion bis heute fort.
STATEMENT
Die Sammlung Friedrichshof und das Estate Otto Muehl machen darauf aufmerksam, dass Otto Muehl für seine Vergehen (sexueller Missbrauch von Minderjährigen, Verstoß gegen das Suchtgiftgesetz und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses) zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde und diese Strafe zur Gänze verbüßt hat. Anlässlich seiner Ausstellung im Leopold-Museum 2010 hat er sich bei den Opfern mittels eines in den Medien veröffentlichten Textes entschuldigt.
Die Sammlung Friedrichshof und das Estate Otto Muehl stellen Bilder auf denen der Künstler Opfer porträtiert hatte aus Respekt vor den beteiligten Personen nicht aus und anerkennen die Notwendigkeit einer kritischen Diskussion der Übergriffe von Otto Muehl. Die Sammlung Friedrichshof und das Estate Otto Muehl bestehen aber auf dem in der Demokratie gültigen Prinzip der Freiheit der Kunst und lehnen Versuche des Erschwerens der Vermittlung der künstlerischen Arbeit Otto Muehls und die Negation seines Werkes ab.
Eine Initiative ehemaliger Kinder der Kommune unter dem Gruppennamen „MATHILDA“ informierte im Herbst 2019 die Öffentlichkeit über ihre Sicht auf die Kommune und den geschehenen Missbrauch im Rahmen einer Intervention in der Sammlung Friedrichshof.
Kuratoren der Ausstellung Marcello Farabegoli und Antonio Rosa de Pauli.
© Sammlung Friedrichshof, Archives Otto Muehl und Estate Otto Muehl