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PABLO CHIEREGHIN: RIOT DESIGN 21/22

PABLO CHIEREGHIN: RIOT DESIGN 21/22

kuratiert von Marcello Farabegoli

Sammlung Friedrichshof Stadtraum
10.11.2021 – 25.02.2022

In seinem Projekt „RIOT DESIGN“ zerstört Pablo Chiereghin mittels inszenierter Gewaltaktionen Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs. Anschließend setzt er die kaputten Teile zu neuen Objekten zusammen, deren Funktion jener des ursprünglichen Gegenstandes entspricht oder davon abweicht. Der kreative Akt, das Schaffen von Neuem, setzt im Sinne des Künstlers also die Zerstörung des Gegebenen voraus. Damit bietet Pablo Chiereghin eine allgemein politische Leseart seiner Arbeit an. Beschränken wir die Interpretation seiner Aktion auf den Kunstbetrieb, erkennen wir darin eine subversive Form der ideellen wie auch kommerziellen Aufwertung: Aus herkömmlichen Objekten werden Kunstwerke mit potenziell höherem Marktwert.
Multimedial ausformuliert vereint „RIOT DESIGN“ Konzeptkunst, Performance, Video, Skulptur und kritisches Design. Konsumkritik ist dem Projekt ebenso inhärent wie die Reflexion über Kunst, Design und die Rolle von Kunst- und Kulturinstitutionen. Nach Präsentationen in Prag und Wien bietet die Sammlung Friedrichshof Stadtraum dem Projekt „RIOT DESIGN“ eine weitere Präsentationsplattform. Der Fokus der aktuellen Version liegt auch auf dem Prozess des Wiederaufbaus.

Pablo Chiereghin, 1977 in Adria (IT) geboren, lebt und arbeitet seit 2009 in Wien. Als Kurator verfolge ich seine Arbeit seit mehreren Jahren und habe ihn bereits in der Vergangenheit zur Mitwirkung an diversen Projekten eingeladen. Beginnend im Jahr 2015 mit seiner Teilnahme an der Gruppenausstellung „Perpetuum Mobile“ in der Garage des KUNST HAUS WIEN. Gefolgt 2016 von seiner Intervention zur Ausstellung „Im Keller im Keller“ von Ulrich Seidl bei GPLcontemporary, seinem unverkennbaren Beitrag beim Tschechisch-Österreichischen Symposium in der Galerie Miroslava Kubíka in Litomyšl (CZ) und seiner Teilnahme am project statement „Border Crossing“ bei der PARALLEL VIENNA im selben Jahr. 2017 bot die Ausstellung „Domenica“ im Palais Metternich, Sitz der italienischen Botschaft in Wien, eine weitere Gelegenheit zur Zusammenarbeit. Nach einer längeren Pause freut es mich daher besonders, dass sich unsere Wege nun im Stadtraum, der Wiener Dependance der Sammlung Friedrichshof, wieder kreuzen.

Das Projekt „RIOT DESIGN“ hat Pablo Chiereghin zum ersten Mal 2019 in der Garage Gallery Karlin in Prag realisiert, eine Ausstellung, die als Testphase für den Künstler fungiert hat und aus der aktuell die Arbeiten „Small Cupboard“ (2019) und „Small Table“ (2019) gezeigt werden. Im Herbst 2020 fand im Tresor des Bank Austria Kunstforum Wien eine umfassende, von Lisa Ortner-Kreil kuratierte multimediale Schau statt, die aufgrund der Corona-Pandemie frühzeitig geschlossen werden musste. Aus diesem Grund schließt Chiereghins Präsentation im Stadtraum eine kleine Auswahl aus der damaligen Ausstellung ein, darunter die Arbeiten „Painting“ (2020), „Vase“ (2020) und „Double Chair“ (2020).

„Ich freue mich, dass Pablo Chiereghin mit seinem RIOT DESIGN-Projekt nach der Präsentation im Tresor des Bank Austria Kunstforum Wien nun in der Sammlung Friedrichshof Stadtraum eine weitere Station erlebt“, so Lisa Ortner-Kreil anlässlich ihres Talks mit dem Künstler und mir im Rahmen der VIENNA ART WEEK. „Der Prozess, der hinter der Idee steckt – Wählen, Suchen, Finden, Zerstören, Restaurieren, Wiederbenutzen bzw. Wiedereinführen in den Markt – ist nun noch stärker sichtbar als vorher. RIOT DESIGN liefert einen wichtigen Kommentar zur schnelllebigen Wegwerfgesellschaft sowie ganz allgemein zum Wert von Waren und Objekten, die uns durch unseren Alltag begleiten. Einmal mehr ist es die Kunst, welche die festgeschriebenen Kategorien von Besitz, Wert und (Überlebens)Dauer neu definiert und uns zum Nachdenken in Hinblick auf unser eigenes Konsum- und Besitzdenken bringt.“

Aufgrund seines gesellschaftskritischen Potenzials, vor allem aber dank des performativ-aktionistischen Gestus fügt sich „RIOT DESIGN“ besonders gut in den Kontext der Sammlung Friedrichshof ein, d.h. gegenwärtig eine der umfangreichsten privaten Sammlungen von Arbeiten der Wiener Aktionisten aus den 1960er sowie frühen 1970er Jahren, die von Hubert Klocker geleitet wird.1
Besonders der ästhetische Aspekt von „RIOT DESIGN“, der in den Objekten an sich, aber ebenso in den Videoarbeiten zum Vorschein kommt, welche die Zerstörungsaktionen des Künstlers dokumentieren, lassen einen Brückenschlag zur Methodik der Wiener Aktionisten zu, die ihre Aktionen mittels Fotografien und Filmen festhielten. In ihrer Intention unterscheiden sich Pablo Chiereghins Interventionen dennoch von deren Aktionen. So benennt der Künstler sein Verfahren konkret als „Riot Ästhetik“ und verweist auf ikonische Episoden im Kontext des urbanen Verfalls in Verbindung mit Arbeitslosigkeit, Armut, Diskriminierung und Polizeibrutalität. Für seine Projekte ließ er sich beispielsweise von den Demonstrationen gegen die Welthandelsorganisation in Seattle 1999, jenen gegen den G8-Gipfel in Genua 2001, den Ausschreitungen in Zusammenhang mit dem griechischen Sparpaket 2010 sowie den jüngsten Unruhen in Hongkong und der Black-Lives-Matter-Bewegung inspirieren, indem er die Praktiken dieser Demonstranten als cultural-ready-made benutzte und für seine Aktionen auf Eisenstangen, Ketten, Kopfsteinpflaster, Hämmer, Sprays, Rauchbomben, Feuerwerke und dergleichen zurückgriff. Der wesentliche Unterschied zu diesen Demonstrationen ist aber der, dass seine Akte der Zerstörung kalkuliert und inszeniert sind: Chiereghin plant eine ungefähre Choreografie seiner Bewegungsabläufe, achtet bei seinen Aktionen aus gegebenen Gründen darauf, sich selbst und die Umgebung nicht allzu stark zu beschädigen und setzt die Kamera ganz gezielt ein. In der Wucht der Zerstörung hat sich Pablo Chiereghin dennoch manchmal selbst leicht verletzt und auch im umgebenden Raum Spuren hinterlassen wie man etwa in seiner Ausstellung im Stadtraum an einer Wand erkennen kann.

Der Akt des Demolierens – das macht die Videoarbeit zum Projekt deutlich – verbindet sich für den Künstler wie für die Betrachter*innen sichtlich mit Spaß. Ganz im Sinne des Niederreißens alter Ordnungen, das wie ein Befreiungsschlag wirken kann, im konkreten Fall der Befreiung von Gegenständen, von Besitztum, welches uns bindet, verpflichtet und einengt. Darüber hinaus geht es auch um die Befreiung von inneren Frustrationen, Stress und angestauter Aggression. Aggressivität ist vermutlich in jedem Menschen zumindest im Keim angelegt – ein Verhaltensmuster, das einerseits zur Abwehr von Gefahr und andererseits zur Gewinnung von Ressourcen dient. Im Kontext von Chiereghins Projekt stellt sich zudem die Frage, ob dieser Grundimpuls in uns nicht auch eine noch tiefere Bedeutung hat. Geht es da nicht auch um den ewigen Kreislauf von Zerstörung und Wiederaufbau, von Tod und Geburt, von Erneuerung, also um wesentliche Entwicklungsmerkmale des Lebens und der Menschheit?
Es mag sich um eine reine Spekulation handeln, aber vielleicht basiert auch die Naturwissenschaft, d.h. eine der wichtigsten bzw. mächtigsten Errungenschaften der Menschheit letztendlich auf Zerstörung. Um zu erkennen, was die „Welt im Innersten zusammenhält“, genügt uns weder Religion oder Glaube, noch Meditation oder gar Philosophie, sondern wir möchten schlussendlich wie der Apostel Thomas mit unseren Fingern in der Wunde wühlen, um uns der Wahrheit zu vergewissern. Wir Menschen haben das Experiment erfunden und dafür müssen wir des Öfteren Dinge zerstören oder gar Lebewesen töten und sezieren, um unseren Wissensdrang zu stillen. So sehr wir die Natur und ihre Schönheit lieben, so sehr zerstören wir sie, auch um sie zu erkennen.

Abseits dieser Abschweifungen meinerseits, richten sich Pablo Chiereghins Angriffe konkret auf die Dingwelt, auf Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs wie Sessel, Tische, Betten oder Schränke. Das Kaufen und Besitzen von Objekten hat einen ambivalenten Charakter: einerseits gibt es uns Befriedigung, andererseits ist es mit Verpflichtungen sowie Sorgen bezüglich Verwendung und Aufbewahrung verbunden. Dazu werden die Haltbarkeit von Objekten, die Aktualität ihrer Funktionen, die Moden, deren Designs usw. immer flüchtiger, sodass die Spanne zwischen Kaufen und Wegwerfen immer kürzer wird. Diese Tendenz gepaart mit der wachsenden Weltpopulation steigert immer mehr die Ausbeutung von Ressourcen und lässt somit den Fluss der Objekte immer breiter sowie rasanter werden. Also entscheidet sich Pablo Chiereghin diesem ausbeuterisch-zerstörerischen Prozess symbolisch entgegenzuwirken. Indem er Gegenstände zerstört, versucht er uns kathartisch vom Zwang zu befreien Dinge besitzen zu müssen. Das Ablehnen von Besitztum, der Künstler spricht von „disowning“, und die Präsentation sowie Thematisierung dieses Phänomens im Ausstellungskontext sind die Herzstücke des Projekts. Dass „RIOT DESIGN“ in einem ehemaligen Tresor einer mächtigen Bank seine erste Wiener Glanzstunde erfahren hat, bedarf meines Erachtens keiner weiteren Erklärung.

Pablo Chiereghins künstlerischer Praxis lässt sich nach dem bislang Gesagten als aktivistische Sozialkritik begreifen. Immer wieder frage ich mich selbst, wie es gelingen kann, sozialkritische Kunst auszustellen, die womöglich die Finanziers der Ausstellung selbst kritisiert. Woher kommt das „liebe Geld“, das den ganzen Kunstmarkt antreibt, wohl her? Als ehemaliger Mitarbeiter eines Auktionshauses habe ich so manche Vorstellungen bzw. Vermutungen. So erfreuen sich Museen über zahlreiche und betuchte Fördermitglieder ohne allzu pingelig nach dem Ursprung des gespendeten Geldes nachzufragen, wobei allerdings Compliance-Richtlinien so manches regeln dürften. Auch die konsequentesten Künstler*innen werden mehr oder weniger schwach, wenn sie mächtigen Sammler*innen begegnen. Schlussendlich fallen auch institutionelle Förderungen sicherlich nicht vom Himmel, sondern werden von der führenden Politik und dem verwaltenden Beamtentum gewissermaßen abgefärbt. Und gerade an dieser heiklen Stelle setzt Pablo Chiereghin an und verwendet Widersprüche als Ausgangspunkt für seine künstlerischen Ideen. Dank seines Charmes und Witzes schafft er es immer, seine „Ausstellungsgeber“ ein wenig zum Narren zu halten. Ist der Künstler (und in gewissem Sinne auch der Kurator) mitunter nicht eine Art zeitgenössischer Hofnarr, der die Nähe und Gunst der Reichen und Mächtigen benötigt, um in gewissen Grenzen diese auch am besten kritisieren und mahnen zu können? In diesem Zusammenhang behauptet Pablo Chierighin kein „radikaler Denker“ zu sein, sondern an Kompromisse zu glauben. In den meisten Fällen wählt er den Weg einer „consensual partnership“ aus und ich zitiere hier gerne wieder Kuratorin Lisa Ortner-Kreil, die gegenüber dem Künstler Folgendes äußerte: „You use the institution while the institution uses you. There is no winner or loser but both players get a piece of the cake.”
Wie dieses Zitat verdeutlicht, beruht im Ausstellungskontext formulierte Kritik am Betriebssystem Kunst stets auch auf einer Art Abkommen zwischen Künstler*in, Kurator*in und ausstellender Institution.2 Auch in der Sammlung Friedrichshof Stadtraum konspiriert der Künstler mit dem Kurator und revoltiert gegen die Organisation, die sein Projekt ermöglicht. Konkret abzulesen ist seine Revolte am zerstörten Namensschild der Sammlung Friedrichshof Stadtraum an der Eingangsfassade zum Ausstellungsraum. Die Zerstörung des Schildes ist auf symbolischer Ebene gleichzusetzen mit einem Angriff auf das Wesen der Institution selbst, insbesondere auf deren Erscheinungsbild, deren Corporate Design, sprich deren Repräsentation nach außen hin. Selbstredend entstand aus dieser Aktion ein neues Werk, das Chiereghin schlicht als „Institution Sign“ (2021) betitelte.

Damit gelangen wir zum letzten Aspekt von „RIOT DESIGN“, dem konstruktiven Part, dem des Zusammenfügens und Neuerfindens, der auf den Akt des Demolierens folgt. Für die maximal-invasive Restaurierung verwendet der Künstler Industrie- und Baumaterialien wie etwa farbige Thermopaste, Harze, Schäume und Styroporplatten. Während diese Materialien in der Regel im Verborgenen bleiben, lässt sie Pablo Chiereghin bei seinen Skulpturen deutlich zum Vorschein treten, sodass sie selbst zu wesentlichen Teilen des Designs werden. Damit möchte der Künstler auch einen Tribut an die Handwerker- und Bauarbeiterbranche leisten. Für diese Materialien wählt er zudem auffallende Farben wie etwa Pink oder Türkis aus, die einen gewissen poppigen Trend in der zeitgenössischen Kunst bzw. im zeitgenössischen Design andeuten sollen. Das Wesentliche daran ist aber, dass die Spuren der Gewalt, die „Wunden“ an den Objekten gut sichtbar bleiben. Es sind nämlich gerade diese Spuren, die auf den ganzen Prozess hindeuten und somit im Sinne des spekulativ design den Betrachter zum kritischen Hinterfragen anregen sollen.
Es sei auch angemerkt, dass der Künstler Objekte auswählt, die einen sehr geringen bis gar keinen Marktwert haben. Gleichzeitig müssen sie so unpersönlich wie nur möglich erscheinen, d.h. sie dürfen als Massenware nicht den unverkennbaren Charakter einer bestimmten Produktionsfirma aufweisen. Der Grund dafür ist, dass der Künstler, diese Objekte durch seine Art des Re-Designs in eine neue Ebene hebt: vom unpersönlichen und wertlosen Alltagsgegenstand zum außergewöhnlichen, kostbaren Unikat-Kunstwerk, das nicht zuletzt durch die ausstellende Institution als solches legitimiert bzw. zertifiziert wird und unter Umständen in weitere Vertriebssysteme des Kunstmarktes eingeschleust werden kann. So gelangte etwa die Arbeit „Double Chair“ (2020) aufgrund dieser Ausstellung in die kommende Designauktion im Dorotheum.
Grundsätzlich vollzieht der Künstler den Prozess des Restaurierens in seinem Atelier abseits von Publikum oder Kameraauge. Den (Wieder)Herstellungsprozess seiner Arbeit „Table“ (2021), für die er einen Tisch vom oberen Stockwerk des Stadtraums in den unteren geworfen und anschließend lustvoll und gründlich weiter zerteilt hat, wird eine fotografische Dokumentation begleiten, nachdem die zerborstene Fassung am Boden des Ausstellungsraumes während eines Teils der Dauer der Schau verharrt haben wird.

An diesem Punkt angelangt lade ich Sie herzlich ein, die Ausstellung zu besuchen und den Künstler bei seiner Arbeit anzutreffen, um von ihm selbst weitere Details über seinen spannenden Arbeitsprozess zu erfahren.

Marcello Farabegoli
Kurator Sammlung Friedrichshof