
01 Mrz METAMORPHOSIS OF PLANTS
ADRIAN BURNS, SOFIA GOSCINSKI
PROJECT 11 curated BY DENISE WENDEL-PORAY
9.03. – 27.05.2022
SAMMLUNG FRIEDRICHSHOF STADTRAUM
Zur Eröffnung wurde die neue Monografie Imbroglio (Skira 2021) von Adrian Burns vorgestellt.
Die Ausstellung Die Metamorphose der Pflanzen, im Titel inspiriert durch Johann Wolfgang Goethes botanische Elegie von 1790, erlaubt es uns, mit den Augen der österreichischen Künstlerin Sofia Goscinski und des mexikanischen Fotografen Adrian Burns in Wälder und Wüsten einzutauchen. Durch ihren Blick und die von ihnen gewählten Medien – Skulptur, Malerei und Fotografie – wird die Natur zu einem Gegenstand bildnerischer Experimente. Als Zeugen dieser Metamorphose und ihres Ausdruckes in der Kunst vergegenwärtigen wir unsere Verbindung mit allen lebenden Organismen. Goethe vermutete eine „geheime Beziehung zwischen den verschiedenen äußeren Pflanzenorganen wie Blättern, Kelch, Blumenkrone und Staubgefäßen.” Von Goethe inspiriert machte der indische Biologe Sir Jagadish Chandra Bose (1858-1937) dreißig Jahre später bahnbrechende Entdeckungen auf dem Gebiet der Pflanzenphysiologie (The Nervous Mechanism of Plants, 1926), insbesondere dass Pflanzen in der Lage sind, zwischen positiven und negativen Erfahrungen zu unterscheiden und aufgrund dieser Informationen ihr Verhalten den gegenwärtigen und kommenden Herausforderungen ihrer Umwelt anzupassen.
Burns blättrige Imbrogli (Verwirrungen) bestehen aus sinnhaftigen, empfindsamen Organismen. Alleinstehende Bäume hingegen sind Portraits: „Ein Baum ist wie ein Mensch; er hat Momente des Wachseins, des Schlafs, Zyklen, Introversion, Extraversion.“ Dieser Gedanke erinnert an Goethes “wahre(n) Proteus […], der sich in allen Gestaltungen verstecken und offenbaren könne.“
Wie die englischen Maler Paul Sandby (1731-1809) und John Constable (1776-1837) oder heutzutage Thomas Struth wurde Burns von den Bäumen gepackt, wandelt unter ihnen, hat sie als ständige Gefährten. Vielleicht stammt diese Affinität aus seiner frühen Ausbildung an der Putney School im ländlichen Vermont, deren Beschreibung sich liest wie eine Seite aus Henry David Thoreaus (1817-1862) Roman Walden (1854). Dort lebten die Schüler*innen auf Augenhöhe mit der Natur, wohnten in ihrem letzten Schuljahr in selbstgebauten Hütten im Wald, ohne Strom und Wasser, im Winter knietief im Schnee um Holz zu sammeln für das Heizen. Zu den Studienfächern gehörten Schreinerei, Metall-, Holz- und Marmorbildhauerei, Keramik, Zeichnen, Malerei und die Fotografie, die bald zu Burns Leidenschaft wurde.
Burns Aufenthalt in Montgiroux, Frankreich, während der ersten Covid-19-Welle im März 2020 war ein Déjà-vu seiner Erfahrungen in Putney vor vierzig Jahren. Auch jetzt musste Burns sich selbst versorgen, auf lokale Ressourcen von benachbarten Bauernhöfen zurückgreifen, Holz hacken und Brot in einem Ofen im Freien backen. Wie im ländlichen Vermont vergingen die Jahreszeiten in Zeitlupe, mit kontinuierlichen Veränderungen in Licht, Geknister, Murmeln, Bewegungen.
Täglich am frühen Morgen und dann wieder am späten Nachmittag unternahm der Künstler lange Spaziergänge, „zur interessantesten Zeit des Tages für das Licht […] Das stundenlange Gehen erlaubte meinem Auge eine neue Schärfe, eine Bewusstheit des Wesens der Natur, nicht nur von Jahreszeit zu Jahreszeit, sondern täglich, stündlich.”
Eines von Burns künstlerischen Zugängen ist die Verwendung von Serien, die minutiös unterschiedliche Ansichten desselben Motivs zeigen, wie die aufeinander folgende Versionen ineinander verschlungener Äste in Encounter in Montgiroux (Begegnung in Montgiroux), oder die Baumreihe in Verrières-le-Buisson. Die Sequenzen sind nummeriert, suggerierend, dass sich ihre besondere Sprache nur durch eine sequentielle Betrachtung erschließen lässt.
Burns Werk ist nicht rein fotografisch; der größte Teil seines neueren Schaffens besteht aus fotografischen Abzügen, mit Graphit nachgezeichnet und/oder mit durch Schablonen aufgetragenes Acryl überzogen, in geometrische Formen: Scheiben, Ovale, Kurven, Dreiecke, verstreute oder gruppiert, oder ein leuchtender vertikaler Streifen quer über das Bild. Diese geometrische Figuren schweben über dem Wald wie mit glasähnlicher Transluzenz, überlagerte, spektrale Figuren – Anomalien, die unseren Blick irritieren.
Die Wirkweise in Werken wie dem Triptychon Imbroglio besteht aus kleinen Rahmenänderungen von Bild zu Bild, so geringfügig, dass sie gerade so erkennbar sind. Dadurch ist das Verhältnis jedes Bildes zum nächsten beweglich, sich nähernd oder entfernend, ohne Gleichgewicht. Burns Bestreben ist es, sie in einer redseligen und doch sprachlosen Konversation zu verbinden.
Geografie der Inspiration
Die Wurzeln der Kunst von Adrian Burns liegen tief in der der verschlungenen, sengenden Schönheit seines Landes, und wie es der Zufall will, führte auch Sofia Goscinskis wichtige Einweihungsreise durch die Wüste zwischen Mexiko-Stadt und Oaxaca, durch ein Gebiet der Legenden – daher die gemeinsame geographische Inspiration der Künstler.
Das Nachleben der Pflanzen
Ursprünglich wollte Goscinski auf ihrer Reise die berühmte schwarze Oaxaca Keramik entdecken. „Wir haben die Reise unternommen, um Lehm aus Oaxaca zu kaufen. Den bekommt man sonst nirgendwo. Sie behandeln ihre Keramik wie ein Geheimnis und verkaufen den Ton, der sehr glatt und raffiniert ist, normalerweise nicht. Das Interessante an der Arbeit mit Ton ist für mich der Prozess. Es ist ein gestischer, expressiver, bildhauerischer Prozess. Man fängt an und weiß nicht, wo und wie das Ganze endet. Man beginnt mit einer Idee, vielleicht sogar mit einem klaren Bild, aber auch der Vorahnung, dass es sich zu etwas ganz anderem entwickeln wird.”
Die auf der Oaxaca-Reise entstandenen Kunstwerke haben sich zu etwas ganz anderem entwickelt: den Betonskulpturen Desert Plants (Wüstenpflanzen). Sofia Goscinskis Einsatz von Beton in vielen ihrer Skulpturen widerspiegelt ihre Bewusstheit der vielfältigen Möglichkeiten eines Materials, das modelliert, geschnitzt und in Form gegossen werden kann, geformt und summiert solange er weich ist, oder gemeißelt wenn ausgehärtet. Wie andere europäische Künstler, die schon vor ihrer Zeit begannen, Beton zu verwenden, kurz vor dem Ersten Weltkrieg – man denke an die ausdrucksstarken Porträtköpfe und Betonfiguren von Wilhelm Lehmbruck – brilliert sie in diesem Bereich.
Goscinski blickt zurück auf ihre erste Inspiration in Mexiko: „Lehm hat nicht unbedingt etwas mit Beton zu tun, aber dennoch braucht man Sand, um ihn mit Zement und Wasser zu mischen, um Beton zu erhalten. Ein interessanter Gedanke, denn Sand hat mit Wüste zu tun, und eine Pflanze braucht Wasser zum Leben. Beton sieht aus wie Stein; er ist wie eine versteinerte Pflanze. Eine Pflanze, die kein Wasser mehr aufnehmen kann. In diesem Sinne kann man sagen, ist es das Nachleben einer Pflanze, die Metapher der Versteinerung, die ich sehr interessant finde.“ Dies erinnert daran wie der britische Kunstkritiker David Sylvester (1924-2001) die zerbrechlich anmutende Wirkung der Skulpturen Alberto Giacomettis (1901-1966) hervorhob, die er als unter der Erde gebliebene „Fossilien“ bezeichnete. Goscinskis raue, trockene, stalagmitenartige Wüstenpflanzen offenbaren ihre Bewunderung des großen Schweizer Bildhauers.
Inzwischen sind auch Bronzeversionen von Desert Plants entstanden, eine letzte Stufe der Veredelung, eine Art Denkmal für die Pflanze.
Sofia Goscinskis Werk ist vielfältig umfasst Performance, Fotografie, Installation, sowohl figurative als auch abstrakte Skulpturen. Auch wenn es nicht ihr Schwerpunkt war in den letzten Jahren, während der aufeinanderfolgenden Lockdowns zwischen März 2020 und Herbst 2021, schuf sie auch eine Reihe von Gemälden: „Die Arbeit gab mir Momente des Friedens, während ich an Depression litt. Es ging darum, ohne Urteil zu beobachten, loszulassen, und einen Zustand der ‚Durchlässigkeit‘ zu erreichen. Mein Gemälde Kanako enthält das Wesen des Waldes. Ich habe es nach einer Freundin benannt; es erinnert mich an sie. Sie ist ein wilder Geist, eine Jägerin; gleichzeitig ist sie eine erstaunliche Sängerin mit einer schönen Sopranstimme – eine fesselnde Aura, wie das Bild. Die geschwungene Form im zweiten Bild, Nostalgia, ist mit den Desert Plants verwandt, der silberne, glänzende Hintergrund erinnert mich irgendwie an Adrians leuchtende geometrische Formen. Man kann eine weibliche Figur sehen, aber es könnten auch nur Blätter sein, die sich im Wind kräuseln, und ein Stück Himmel.“
Rabindranath Tagore (1861-1941) schrieb: „Diese kleinen Gedanken sind das Rascheln von Blättern“. Mit dieser Ausstellung wird die Natur zu einem inspirierenden Zufluchtsort, zum Reflektieren, Beobachten und Zuhören durch die Prismen zweier außerordentlicher Künstler.
Denise Wendel-Poray, März 2022
Ausstellungsansichten von Philipp Schulz / boxquadrat